HVO/ First Responder: Reanimation

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28.01.2016, 11:27
Hallo Zusammen!
Angenommen man wird als HVO zu einem Einsatz im Altenheim gerufen. Verdacht auf Apoplex.
Ihr kommt dort hin und findet eine 100 jährige Patientin vor, keine Atmung, kein Puls...
Keine Patientenverfügung.

Wer entscheidet ob reanimiert wird oder nicht? Sollte ich reanimieren oder nicht?
Was sagt das Gesetzt?


Vielleicht klingt die Frage bisschen blöd, wäre aber nett wenn sich jemand melden würde,
der HVO/FR fährt bzw. im RD tätig ist.

MFG,
Schulsani15
28.01.2016, 11:43
Du musst solange drücken bis jemand vom RD (genau genommen NA) sagt, dass du aufhören kannst, außer natürlich es gibt nicht mehr mit dem Leben vereinbare Verletzungen (z.B. Kopf ab), aber davon gehe ich in einem Altenheim mal nicht aus.
28.01.2016, 12:25
Was sagen die anderen? Und was ist wenn eine Patientenverfügung vorliegt?
28.01.2016, 12:29
Juristisch gesehen ist die Sache ganz einfach: Wenn Dich jemand in diesem Fall wegen unterlassener Hilfeleistung verklagt, dann muss er nachweisen, dass der Patient mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit (also in etwa 97% der Fälle) überlebt hätte, wenn Du anders gehandelt hättest. Wenn Du jetzt betrachtest dass in den optimistischsten Studien vielleicht 20% der Patienten überleben, wirst Du erkennen, dass es NIEMALS möglich sein wird, eine Handlung im Rahmen einer Reanimation juristisch zu belangen. (Zumindest strafrechtlich...)

Das Problem ist ein anderes: Wie willst Du denn Deine Entscheidung begründen? Es gibt 90jährige, die noch voll im Leben stehen und 60jährige, die todkrank sind und nur noch leiden. Im Altenpflegeheim bekommst Du grundsätzlich die Antworten "Der war gestern noch fit" oder "Den kenne ich nicht, der ist erst seit kurzem bei uns". Wo ziehst Du also für Dich die Grenze?

Lies Dir mal den Ethikteil der Reanimationsleitlinien durch. Hier wird nicht unterschieden zwischen unterschiedlichen Qualifikationen.

Du siehst: Juristisch ist es ganz einfach. Ethisch ist es aber ganz kompliziert. Wenn ich Dir also einen Rat geben dürfte: Mach es wie Saniebe sagt. Dann ersparst Du Dir die schlaflosen Nächte in denen zu zweifelst, ob Deine Entscheidung die richtige war. Dafür sind diejenigen da, die etwas breitere Schultern haben.
28.01.2016, 14:57
Ok danke. Wir hatten eben vor kurzen so einen ähnlichen Fall. Die Person war 100 Jahre alt, Dement, Bein amputiert, mit Katheter, Medikamentenliste so dick wie ein Telefonbuch. Sie war nicht Reanimationspflichtig, aber ich hab mir eben gedacht: Was wäre wenn...?
Gemeldet war ein Verdacht auf Apoplex, was sich aber nicht bestätigte.
28.01.2016, 17:05
Nehmen wir jedoch mal an, dass du als HVO eine Garantenstellung inne hast und diese ergibt aus dem Gesetz, dann wäre es nicht "nur" eine unterlassene Hilfeleistung, sondern ein (unechtes) Unterlassungsdelikt der Körperverletzung bzw. des Totschlags. Sowohl der objektive, subjektive Tatbestand, die Rechtswidrigkeit und die Schuld wäre gegeben.

Ich würde mich also ans Drücken halten bis jemand vom RD/NA stopp sagt. Natürlich bringt es aber nichts, wenn du irgendwann bewusstlos daneben liegst, also möglichst schnell weitere Kräfte anfordern bzw. Umstehende einbinden.
28.01.2016, 19:06
saniebe hat geschrieben:Nehmen wir jedoch mal an, dass du als HVO eine Garantenstellung inne hast und diese ergibt aus dem Gesetz, dann wäre es nicht "nur" eine unterlassene Hilfeleistung, sondern ein (unechtes) Unterlassungsdelikt der Körperverletzung bzw. des Totschlags. Sowohl der objektive, subjektive Tatbestand, die Rechtswidrigkeit und die Schuld wäre gegeben.


Eben nicht. Der Tatbestand des Totschlags oder der Körperverletzung wäre ja nur erfüllt, wenn man nachweisen könnte, dass Dein Handeln die Konsequenz bewirkt hat. Aber wie ich oben schon dargestellt habe, ist dies nicht der Fall. Man denke hierbei an den berühmten Fall des reanimierten Kindes nach Ertrinken.

Ich würde mich also ans Drücken halten bis jemand vom RD/NA stopp sagt. Natürlich bringt es aber nichts, wenn du irgendwann bewusstlos daneben liegst, also möglichst schnell weitere Kräfte anfordern bzw. Umstehende einbinden.

Guter Rat. :good:
(Nur die Begründung ist eben falsch.... ;) )
28.01.2016, 20:14
@Don: Komischerweise sehen aber mehrere Medizinanwälte es genauso wie ich. Hab zum selben Prinzip der Frage eine Seminararbeit (Besondere Rechtsfragen im Rettungsdienst) geschrieben.
Aber egal hauptsache wir sind uns mit dem drücken einig. ;)
28.01.2016, 20:38
saniebe hat geschrieben:@Don: Komischerweise sehen aber mehrere Medizinanwälte es genauso wie ich. Hab zum selben Prinzip der Frage eine Seminararbeit (Besondere Rechtsfragen im Rettungsdienst) geschrieben.
Aber egal hauptsache wir sind uns mit dem drücken einig. ;)


Der Medizinanwalt wird bezahlt, wenn er mit einer Klage vor Gericht geht. Wie das Ergebnis davon aussieht, kann ihm völlig egal sein. Das kann man an der Qualität der Verfahren sehen, die es vor Gericht schaffen. Wenn ich mir dann die Fragen und Nachfragen der Medizinanwälte ansehe, wundere ich mich nicht. Es reicht halt nicht, kurz mal was zu googeln und dann aus der Hüfte Vorwürfe zu schießen.

Daher fragt das Gericht dann unabhängige Gutachter. Und ich kann Dir sagen, dass ein Mensch niemals verurteilt werden kann, weil er mit einer Reanimation nicht beginnt. Aus den oben zitierten Gründen.
28.01.2016, 20:42
saniebe hat geschrieben:Ich würde mich also ans Drücken halten bis jemand vom RD/NA stopp sagt.

Was legitimiert einen RS/RA/NotSan gegenüber einem HvO (beliebiger Qualifikation) einen Reanimationsabbruch anzuweisen?

Wir richten uns meist nach folgenden Grundsätzen:
- laufende Reanimation (sofern mit dem Leben vereinbar) werden übernommen und bis zur ärztlichen Entscheidung fortgeführt
- Verzicht nur als Team-Konsens, sonst wird reanimiert
- "wenn schon, dann richtig" bzw. keine Alibi-Rea

Medizinanwälte geben sicherlich eine juristisch begründbare Sichtweise wieder, diese muss aber nicht ethisch korrekt und für die Praxis zu gebrauchen sein.

(Eine juristische Problematik entsteht doch schon beim Heranziehen der Patientenverfügung: Verfügbarkeit, Identifikation, Aktualität, Anwendbarkeit - bis das korrekt überprüft ist, ist die begonnene Reanimation entweder erfolgreich oder eingestellt - alternativ verlässt man sich auf eine Erstauskunft in Kombination mit seinem Bauchgefühl und Einschätzung der Situation)
28.01.2016, 21:19
Na ja von einem RS/RA/NotSan kann man schon erwarten, dass diese sichere Todeszeichen erkennen und ein Laie (HvO) zähle ich jetzt mal dazu, obwohl sich da auch viele RDler tummeln, wird in dieser Thematik nicht besonders geschult.
30.01.2016, 11:11
Also im HVO fährt bei uns sicher kein Laie. Sind alles mindestes SAN,RH,RS oder RA. Teilweise mit sehr langer Erfahrung im RD.

Darf also kein Mensch an einem natürlichem Tod ( bsp. 100 jähriger Patent) sterben, wenn einer von einer Hilfsorganisation dabei ist?
Seh ich das richtig?
30.01.2016, 13:00
Schulsani15 hat geschrieben:Also im HVO fährt bei uns sicher kein Laie. Sind alles mindestes SAN,RH,RS oder RA. Teilweise mit sehr langer Erfahrung im RD.


Soweit ich mich erinnere waren die sicheren Todeszeichen kein Bestandteil des San Kurses (ich kann nur DRK, JUH und MHD beurteilen).

Schulsani15 hat geschrieben:Darf also kein Mensch an einem natürlichem Tod ( bsp. 100 jähriger Patent) sterben, wenn einer von einer Hilfsorganisation dabei ist?
Seh ich das richtig?


Doch, natürlich. Aber es ist halt die Frage wie du entscheidest wann ein Leben nichtmehr lebenswert ist oder eine Rea nichtmehr angefangen wird. Und diese Zeit hast du bei ner Rea oft nicht. Dann muss du halt anfangen und dein Doc hat dann genug Zeit sich darum zu kümmern, aufhören kannst du immer noch.

Bei uns wird reanimiert (auch bei Patientenverfügung) bis ein Arzt da ist und die Verfügung geprüft hat oder aus anderen Gründen (z.B. in Rücksprache mit den Angehörigen usw.) die Rea abbricht.

Natürlich kann man jetzt hier die Grundsatzdiskussion anfangen, ob man denn mit 100 nicht in Ruhe sterben darf, aber die Diskussion hat eben kein eindeutig, immer anwendbares Ergebniss.
30.01.2016, 13:31
Fazit aus dem Thema: Reanimieren bis der Arzt kommt, auch bei einer Patientenverfügung und bei einer 200 jährigen Person, die Krebs im Endstadium hat.

Ist jetzt überspitzt, aber stimmt jetzt so, oder?
30.01.2016, 14:06
Sam112 hat geschrieben:
Schulsani15 hat geschrieben:Also im HVO fährt bei uns sicher kein Laie. Sind alles mindestes SAN,RH,RS oder RA. Teilweise mit sehr langer Erfahrung im RD.


Soweit ich mich erinnere waren die sicheren Todeszeichen kein Bestandteil des San Kurses (ich kann nur DRK, JUH und MHD beurteilen).

Also bitte. Nur weil ich einmal 5 Minuten im 40h-Kurs mal was über Todeszeichen gehört habe, werde ich die sicher nicht in der akuten Stressituation anwenden können, wenn ich diese das erste Mal live sehe. Da gehört dann schon bissel mehr dazu...

Schulsani15 hat geschrieben:Fazit aus dem Thema: Reanimieren bis der Arzt kommt, auch bei einer Patientenverfügung und bei einer 200 jährigen Person, die Krebs im Endstadium hat.

Ja. Das Problem fängt halt teilweise schon bei den Angehörigen an, die in "so klaren" Fällen überhaupt den Rettungsdienst / Notarzt rufen. Weil gerade im zum Großteil "semi-professionellen" Bereich wie HvO/FR gibt es halt nur eine vorgegebene Richtung und das auch zu Recht, wie oben ganz gut dargestellt wurde.

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